Verlassen und lebendig – Rocca Calascio und Sulmona – 05.04.2023

Verlassen und lebendig – Rocca Calascio und Sulmona – 05.04.2023

Spät erst komme ich heute dazu, zu schreiben. Es ist schon kurz nach 23:00 Uhr. Vor einer halben Stunde sind wir erst von unserer Tagestour zurückgekommen. Und jetzt mussten wir erst einmal den Restmüll noch rausbringen. Ja, hier wird der Gast gefordert. In L’Aquila ist es nämlich so, dass fast jeden Tag irgendeine Müllsorte abgeholt wird. Die Mülltonnen sind klein – eckige kniehohe Gefäße mit Klappdeckel und Henkel. Die stellt man einfach vor die Tür. Ich habe zwar hier noch nie einen Müllwagen gesehen noch gehört, aber irgendwann sind die Tonnen leer.

Aber nun zum wirklich Wichtigen heute. Heute erkundeten wir einen anderen Teil des Nationalparks Gran Sasso e Monti della Laga. Dabei hat es den ganzen Tag ganz leicht geschneit und an unserem höchstgelegensten Ziel, das war die Burgruine Rocca Calascio auf knapp 1.500 Metern, hatten wir mal wieder nur -1°, aber ohne Wind. Zuvor machten wir irgendwo Halt, um eine Landschaft im Widerstreit zwischen Winter und Frühling zu fotografieren und die durchs Erdbeben zerstörte Kirche des Ortes Santo Stefano di Sessanio – einst ein Wahrzeichen der Abruzzen.

Die Rocca Calascio und die etwas unterhalb gelegene achteckige Chiesa di Santa Maria della Pietà sind wirklich einen Besuch wert. Es ist zwar mit etwas Fußweg verbunden, beginnend im Ort Calascio. Und wenn man nicht, so wie wir, den steilsten und unwegsamsten Verbindungsweg zwischen der Chiesa und der Rocca nimmt, ist der Aufstieg – abgesehen von ein paar Steigungen – eigentlich auch ganz kommod. Gerne hätten wir uns in Calascio ja noch gestärkt, und nachdem wir auch eine Bar mit offener Tür gefunden hatten, machte man uns klar, dass noch nicht geöffnet ist. Einen Caffè hätte uns die Dame am Tresen zwar trotzdem verkauft, ein Mann, der dazukam, machte diese Aussicht aber wieder zunichte. Warum, konnten wir nicht so richtig nachvollziehen.

Wie auch immer, die Ausblicke sind wirklich spitzenmäßig. In der Hoffnung, dass sich die Sonne doch noch durch die tiefliegenden und ständig vorbeiziehenden Wolken kämpft, blieben wir lange oben. Den Gefallen tat sie uns nicht. Es war aber trotzdem eine tolle Station.

Von der Rocca Calascio konnten wir auch schon unser nächstes Ziel sehen: den Ort Castel del Monte. In „Vorbereitung“ auf unsere Reise hatten wir uns den Film „The American“ mit George Clooney angesehen, der hauptsächlich in diesem nur ein paar Hundert Einwohner zählenden Bergdorf gedreht wurde. Castel del Monte diente laut aufgestelltem Schild für mehr als 20 Filme als Filmkulisse. Es besteht hauptsächlich aus einem unglaublichen Gewirr aufsteigender und absteigender Gassen, und es wirkte seltsam, fast schon gespenstisch leer. Außer ein paar Bauabeitern und der einzig belebten Bar auf einem Platz war gar kein Leben dort. In der Bar kamen wir dann endlich doch noch zu einem Caffè und einem Panino. Die Bestellung wurde gedolmetscht von einem zufällig anwesenden Einwohner, der Englisch sprach und die leidvolle Aufgabe hatte, eine kleine amerikanische Reisegruppe zu begleiten. Das Panino war köstlich, und während wir da saßen, beobachtete uns ein alter Mann, der mich ein bisschen an Karl Valentin erinnerte. Was er sich bei dem Treiben um ihn herum, lärmende Amerikaner und zwei versprengte Deutsche (also wir), so dachte, ich möchte es nicht wirklich wissen.

Es war dann so kurz vor 16:00 Uhr, als wir uns wieder aufmachten, um noch einige ausgewählte Orte zu besuchen. Das kleine romanische Kirchlein San Pietro ad Oratorium erwies sich leider als Reinfall, weil es mit einem schmucken Gitterzaun, der natürlich abgeschlossen war, umgeben war und uns quasi nur seinen „Hintern“ zeigte.

Am Wegesrand, also direkt an der vielbefahrenen SS17, lag dann noch die Ruine der Kirche Santa Maria die Cartignano. Die war es dann schon wert, kurz anzuhalten.

Und weil wir dann doch schon recht nah am Städtchen Sulmona waren, fuhren wir dorthin. Leider war das Wetter ein bisschen regnerisch, aber das störte nicht weiter. Sulmona ist wirklich einen Besuch wert. Ein wunderschönes Städtchen, das wohl gerne auch als „Siena der Abruzzen“ bezeichnet wird, wie ich nachgelesen habe. Das Erste, was ich da tat, war, mir elf wunderschöne bunte Blumen zu kaufen – sehr geschmackvolle künstliche Blumen, wie ich zunächst dachte. Künstliche Blumen, allerdings oft hässlich wie die Nacht finster ist, sieht man ja in Italien zuhauf. Wie ich später kapierte, waren meine Blumen nicht nur geschmackvoll schön, sondern die Blütenblätter bestehen aus den „Confetti“, für die Sulmona bekannt ist. Mandeln oder Nüsse, die mit Zuckerguss überzogen sind und entweder in Beuteln oder eben zu solchen Blumen gebastelt verkauft werden. Diese „Confetti“ sind offenbar tatsächlich weltberühmt. Selbst das englische Königshaus servierte sie bei den Hochzeiten von Harry und Meghan. Und weil wir gerade bei Promis sind: Ovid stammte aus Sulmona. Mir haben einfach nur die tollen Farben gefallen. Probiert habe ich die Confetti noch nicht. Sie sind mir dazu viel zu schade.

Mein Versuch, roten Knoblauch zu erstehen, für den Sulmona auch bekannt ist, führte mich in einen sehr kleinen, dafür aber umso vollgestopfteren Lebensmittelladen. Die sehr nette Dame hinter dem Ladentisch gab mir auch Italienisch wortreich zu verstehen, dass sie keinen habe und lieferte mir auch eine Erklärung mit, die ich nur sehr rudimentär verstand. Ich glaube aber, verstanden zu haben, dass sie mir deshalb keinen verkaufen will, weil er nicht mehr frisch ist und dann nicht mehr gut schmeckt. Also zog ich unverrichteter Dinge wieder ab.

Weil ich noch eine Spezialität der Abruzzen erstehen wollte, landete ich in einem Confiserie-Laden, der Pan Ducale verkaufte. Eine Kuchenspezialität, die wohl sehr gerne auch zu Ostern gegessen wird. Die des Englischen mächtige Inhaberin hätte mir am liebsten ihr ganzes Sortiment erlesener Schokoladen verkauft und war sichtlich enttäuscht, dass ich mich nicht erweichen ließ, mehr zu kaufen.

Danach flanierten wir durch die Fußgängerzone mit Ampelanlage (!) und bestaunten die Kirchen und Gebäude.

Ein Italiener, der sah, dass wir Kameras umhängen haben, freute sich sichtlich darüber und redete ebenfalls auf Italienisch auf uns ein. Was wir verstanden zu haben glaubten, ist, dass er auch sehr gerne fotografiert, jetzt mit einer kleinen handlichen Leica-Kamera, früher mit einer Hasselblad. Als er hörte, dass wir Deutsche sind, sagte er in ganz strengem, fast martialischen Tonfall auf Deutsch „Ah, deutsch“ und nahm eine stramme Haltung ein. Das ging uns später noch einmal so. Anscheinend verbinden sie das mit Strenge und harter Disziplin.

Ich persönlich würde Sulmona ja als „Stadt der Balkone“ bezeichnen. Balkone, wohin man schaut. Warum Sulmona so viele Balkone hat – die Antwort auf diese Frage blieb leider nur unzureichend. Ich nutzte meine Chance und fragte ein amerikanisches Ehepaar aus Seattle, die am Nebentisch der Pizzeria saßen, wo wir uns zum Schluss unseres Besuches niederließen. Der Mann war gebürtig aus Sulmona, seine Frau hatte polnische Wurzeln. Die beiden meinten, sie dienten wohl nur dazu, den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Leben auf der Straße zu beobachten. Auch gut.

Es war schon kurz nach 21:00 Uhr, als wir in Sulmona aufbrachen, um nach L’Aquila zurückzukehren. Wir zogen dann die rund 100 km lange Strecke über die Autobahn der kurvenreichen nur 70 km langen über die SS17 vor. Womöglich wären wir mit einem Bären kollidiert. Davor wurde am Straßenrand sehr bildreich gewarnt. Und die Bären sollen ja leben …

 

 

Faszinierendes Allerlei – 04.04.2023

Faszinierendes Allerlei – 04.04.2023

Heute haben wir uns auf den Weg gemacht zum Campo Imperatore, einer Hochebene im Parco Nazionale del Gran Sasso e Monti della Laga, die nur wenige Kilometer von L’Aquila entfernt liegt auf 1.500 – 1.900 Metern. Allein, wir kamen gar nicht bis dahin, weil auf dem Piano di Fugno auf knapp 1.400 Metern Ende war. Danach war wegen Schnees gesperrt. Wir sahen zwar keinen, aber Stop heißt halt nun mal Stop. Das war zwar schade, aber die Aussichten auf die noch schneebedeckten Berge des Apennin waren von dort wunderschön, wie überhaupt die ganze Landschaft da unglaublich schön ist. Wenn man sich die Bäume wegdenkt, könnte man es auch für Island halten. Keine Menschenseele weit und breit. Kalt war es allerdings schon. Bei -1° mussten wir alle Jacken anziehen, die wir im Auto dabei hatten. Da hätten wir uns einen Schafspelz gewünscht. Doch den hatten wir weiter unten an uns vorbeiziehen lassen, als ein Schäfer mit seiner Herde und den besonderen weißen Schutzhunden, den Maremmen-Abruzzen-Schäferhunden, unseren Weg kreuzte.

Auf dem Weg wieder runter machten wir Halt an einem See, dem Lago di Filetto und dem kleinen Kirchlein Tempietto di Sant’Eusanio. Das alles gehört zur Gemeinde Filetto, durch die wir dann auch kamen. Dort wäre vielleicht auch eine ganz interessante Kirche gewesen, die man uns noch auf einem Hinweisschild angedient hatte. Aber die Ortsdurchfahrt war so eng, dass wir doch lieber darauf verzichtet haben. Am Sonntag hatten wir uns schon durch so manche wirklich enge Straße gedrängt, darauf hatten wir heute wirklich keine Lust. Vor allem, als wir miterlebten, wie eng es schon für einen kleinen Panda war, der uns entgegenkam.

In L’Aquila wieder angekommen, fuhren wir zur Kirche Santa Maria di Collemaggio. Sie ist wirklich sehr schön, allerdings mussten wir schmunzeln, weil der Satz „Sie liegt malerisch am Rande der Stadt in einem Park“ bei Wikepedia nun so gar nicht zutraf. Die erdige große rechteckige Fläche vor der Kirche wurde von einem großen Traktor gepflügt, rechts neben der Kirche waren Bauzäune, zugänglich war sie sowieso nicht und links die ehemalige psychiatrische Klinik von Collemaggio – ein veritabler Lost Place. Den haben wir uns natürlich besonders genau angesehen. Es ist ein sehr großes Gelände mit vielen Gebäuden, von denen offenbar doch auch einige noch genutzt werden – zumindest von Veterinärmedizinern. Eine alternative Gruppe mit Namen Casematte hat sich dort angesiedelt, und es herrschte reger Autoverkehr.

Und weil wir uns ja auch sehr gerne Friedhöfe ansehen, besuchten wir noch den Friedhof von L’Aquila – auch ein riesiges Gelände mit alten Gräbern und vielen Mausoleen. Und natürlich ging es auch da steil bergauf. Aber es hat sich wirklich gelohnt.

Den Abend haben wir im „Strapescato“, einem Fischrestaurant in L’Aquila verbracht. Das Essen und der Wein waren köstlich, die Tellerdekoration allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Denn zu meinem Fischfilet hatte sich auch der Rest der Kreatur gesellt. „Schau mir in die Augen, Kleines“ hieß es da.