Heute jährt sich der Tag des Erdbebens, das L’Aquila so schlimm getroffen hat, zum 14. Mal. Bereits gestern Abend fand hier ein Fackelumzug statt und auch Ministerpräsidentin Meloni war wohl gestern hier. Das habe ich heute den Internet-Meldungen entnommen. Fortgesetzt wurden die Gedenkfeierlichkeiten auch heute. Wir wollten aber nicht als Voyeure hier unterwegs sein und beschlossen, ans Meer zu fahren.
Unser Ziel war Pescara an der Adriaküste, ein Bade-Hotspot seit Jahrzehnten. Es war sonnig und windig, aber es machte Spaß, am unendlich langen Sandstrand spazieren zu gehen, den Kite-Surfern zuzusehen, die imposante Brückenkonstruktion über den Fluss Pescara zu bestaunen, auf dem Corso Umberto 1° ein Eis zu essen (das ausgesprochen gut war), die Schaufenster zu betrachten und auf dem „Big Piano“ einen Dreiklang ertönen zu lassen. Rund um einen großen Brunnen sind auf dem Boden berührungsintensive Stellen, die nicht nur wie Pianotasten aussehen, sondern auch die entsprechenden Töne erzeugen. Ein Riesenspaß für alle, auch wenn meistens Kakophonie dabei herauskommt.
Eine zweite Station waren die sogenannten Trabocchi, eine uralte Fischfang-Konstruktion direkt am Meer und zwar immer genau da, wo die Strömung Fischschwärme hintrieb. Sie sind selten geworden, diese ursprünglich hölzernen Konstruktionen mit langen Auslegern, an denen Netze angebracht, zu Wasser gelassen und dann wieder hochgezogen wurden. Der Küstenabschnitt der Adria in den südlichen Abruzzen wird als „Costa dei trabocchi“ als touristische Attraktion vermarktet. Sie sind aber auch wirklich ein schöner Blickfang. Und in der modernen Variante, wie in Pescara, kann man sogar Architektur-Designpreise damit gewinnen.
Verlassen und lebendig – Rocca Calascio und Sulmona – 05.04.2023
Spät erst komme ich heute dazu, zu schreiben. Es ist schon kurz nach 23:00 Uhr. Vor einer halben Stunde sind wir erst von unserer Tagestour zurückgekommen. Und jetzt mussten wir erst einmal den Restmüll noch rausbringen. Ja, hier wird der Gast gefordert. In L’Aquila ist es nämlich so, dass fast jeden Tag irgendeine Müllsorte abgeholt wird. Die Mülltonnen sind klein – eckige kniehohe Gefäße mit Klappdeckel und Henkel. Die stellt man einfach vor die Tür. Ich habe zwar hier noch nie einen Müllwagen gesehen noch gehört, aber irgendwann sind die Tonnen leer.
Aber nun zum wirklich Wichtigen heute. Heute erkundeten wir einen anderen Teil des Nationalparks Gran Sasso e Monti della Laga. Dabei hat es den ganzen Tag ganz leicht geschneit und an unserem höchstgelegensten Ziel, das war die Burgruine Rocca Calascio auf knapp 1.500 Metern, hatten wir mal wieder nur -1°, aber ohne Wind. Zuvor machten wir irgendwo Halt, um eine Landschaft im Widerstreit zwischen Winter und Frühling zu fotografieren und die durchs Erdbeben zerstörte Kirche des Ortes Santo Stefano di Sessanio – einst ein Wahrzeichen der Abruzzen.
Die Rocca Calascio und die etwas unterhalb gelegene achteckige Chiesa di Santa Maria della Pietà sind wirklich einen Besuch wert. Es ist zwar mit etwas Fußweg verbunden, beginnend im Ort Calascio. Und wenn man nicht, so wie wir, den steilsten und unwegsamsten Verbindungsweg zwischen der Chiesa und der Rocca nimmt, ist der Aufstieg – abgesehen von ein paar Steigungen – eigentlich auch ganz kommod. Gerne hätten wir uns in Calascio ja noch gestärkt, und nachdem wir auch eine Bar mit offener Tür gefunden hatten, machte man uns klar, dass noch nicht geöffnet ist. Einen Caffè hätte uns die Dame am Tresen zwar trotzdem verkauft, ein Mann, der dazukam, machte diese Aussicht aber wieder zunichte. Warum, konnten wir nicht so richtig nachvollziehen.
Wie auch immer, die Ausblicke sind wirklich spitzenmäßig. In der Hoffnung, dass sich die Sonne doch noch durch die tiefliegenden und ständig vorbeiziehenden Wolken kämpft, blieben wir lange oben. Den Gefallen tat sie uns nicht. Es war aber trotzdem eine tolle Station.
Von der Rocca Calascio konnten wir auch schon unser nächstes Ziel sehen: den Ort Castel del Monte. In „Vorbereitung“ auf unsere Reise hatten wir uns den Film „The American“ mit George Clooney angesehen, der hauptsächlich in diesem nur ein paar Hundert Einwohner zählenden Bergdorf gedreht wurde. Castel del Monte diente laut aufgestelltem Schild für mehr als 20 Filme als Filmkulisse. Es besteht hauptsächlich aus einem unglaublichen Gewirr aufsteigender und absteigender Gassen, und es wirkte seltsam, fast schon gespenstisch leer. Außer ein paar Bauabeitern und der einzig belebten Bar auf einem Platz war gar kein Leben dort. In der Bar kamen wir dann endlich doch noch zu einem Caffè und einem Panino. Die Bestellung wurde gedolmetscht von einem zufällig anwesenden Einwohner, der Englisch sprach und die leidvolle Aufgabe hatte, eine kleine amerikanische Reisegruppe zu begleiten. Das Panino war köstlich, und während wir da saßen, beobachtete uns ein alter Mann, der mich ein bisschen an Karl Valentin erinnerte. Was er sich bei dem Treiben um ihn herum, lärmende Amerikaner und zwei versprengte Deutsche (also wir), so dachte, ich möchte es nicht wirklich wissen.
Es war dann so kurz vor 16:00 Uhr, als wir uns wieder aufmachten, um noch einige ausgewählte Orte zu besuchen. Das kleine romanische Kirchlein San Pietro ad Oratorium erwies sich leider als Reinfall, weil es mit einem schmucken Gitterzaun, der natürlich abgeschlossen war, umgeben war und uns quasi nur seinen „Hintern“ zeigte.
Am Wegesrand, also direkt an der vielbefahrenen SS17, lag dann noch die Ruine der Kirche Santa Maria die Cartignano. Die war es dann schon wert, kurz anzuhalten.
Und weil wir dann doch schon recht nah am Städtchen Sulmona waren, fuhren wir dorthin. Leider war das Wetter ein bisschen regnerisch, aber das störte nicht weiter. Sulmona ist wirklich einen Besuch wert. Ein wunderschönes Städtchen, das wohl gerne auch als „Siena der Abruzzen“ bezeichnet wird, wie ich nachgelesen habe. Das Erste, was ich da tat, war, mir elf wunderschöne bunte Blumen zu kaufen – sehr geschmackvolle künstliche Blumen, wie ich zunächst dachte. Künstliche Blumen, allerdings oft hässlich wie die Nacht finster ist, sieht man ja in Italien zuhauf. Wie ich später kapierte, waren meine Blumen nicht nur geschmackvoll schön, sondern die Blütenblätter bestehen aus den „Confetti“, für die Sulmona bekannt ist. Mandeln oder Nüsse, die mit Zuckerguss überzogen sind und entweder in Beuteln oder eben zu solchen Blumen gebastelt verkauft werden. Diese „Confetti“ sind offenbar tatsächlich weltberühmt. Selbst das englische Königshaus servierte sie bei den Hochzeiten von Harry und Meghan. Und weil wir gerade bei Promis sind: Ovid stammte aus Sulmona. Mir haben einfach nur die tollen Farben gefallen. Probiert habe ich die Confetti noch nicht. Sie sind mir dazu viel zu schade.
Mein Versuch, roten Knoblauch zu erstehen, für den Sulmona auch bekannt ist, führte mich in einen sehr kleinen, dafür aber umso vollgestopfteren Lebensmittelladen. Die sehr nette Dame hinter dem Ladentisch gab mir auch Italienisch wortreich zu verstehen, dass sie keinen habe und lieferte mir auch eine Erklärung mit, die ich nur sehr rudimentär verstand. Ich glaube aber, verstanden zu haben, dass sie mir deshalb keinen verkaufen will, weil er nicht mehr frisch ist und dann nicht mehr gut schmeckt. Also zog ich unverrichteter Dinge wieder ab.
Weil ich noch eine Spezialität der Abruzzen erstehen wollte, landete ich in einem Confiserie-Laden, der Pan Ducale verkaufte. Eine Kuchenspezialität, die wohl sehr gerne auch zu Ostern gegessen wird. Die des Englischen mächtige Inhaberin hätte mir am liebsten ihr ganzes Sortiment erlesener Schokoladen verkauft und war sichtlich enttäuscht, dass ich mich nicht erweichen ließ, mehr zu kaufen.
Danach flanierten wir durch die Fußgängerzone mit Ampelanlage (!) und bestaunten die Kirchen und Gebäude.
Ein Italiener, der sah, dass wir Kameras umhängen haben, freute sich sichtlich darüber und redete ebenfalls auf Italienisch auf uns ein. Was wir verstanden zu haben glaubten, ist, dass er auch sehr gerne fotografiert, jetzt mit einer kleinen handlichen Leica-Kamera, früher mit einer Hasselblad. Als er hörte, dass wir Deutsche sind, sagte er in ganz strengem, fast martialischen Tonfall auf Deutsch „Ah, deutsch“ und nahm eine stramme Haltung ein. Das ging uns später noch einmal so. Anscheinend verbinden sie das mit Strenge und harter Disziplin.
Ich persönlich würde Sulmona ja als „Stadt der Balkone“ bezeichnen. Balkone, wohin man schaut. Warum Sulmona so viele Balkone hat – die Antwort auf diese Frage blieb leider nur unzureichend. Ich nutzte meine Chance und fragte ein amerikanisches Ehepaar aus Seattle, die am Nebentisch der Pizzeria saßen, wo wir uns zum Schluss unseres Besuches niederließen. Der Mann war gebürtig aus Sulmona, seine Frau hatte polnische Wurzeln. Die beiden meinten, sie dienten wohl nur dazu, den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Leben auf der Straße zu beobachten. Auch gut.
Es war schon kurz nach 21:00 Uhr, als wir in Sulmona aufbrachen, um nach L’Aquila zurückzukehren. Wir zogen dann die rund 100 km lange Strecke über die Autobahn der kurvenreichen nur 70 km langen über die SS17 vor. Womöglich wären wir mit einem Bären kollidiert. Davor wurde am Straßenrand sehr bildreich gewarnt. Und die Bären sollen ja leben …